Reiseberichte

Impressionen einer Reise auf die Kapverden – Ilha de Santiago / Ilha de Sal,
September/Oktober 2003
(Briefauszüge)

Brief 1
(…) wenn der Strom fließt, kann man auch auf Santiago ins Internet. Ich erhole mich in dieser bescheidenen Welt aufs Beste. Wahrscheinlich gerade, weil es kaum Komfort gibt. Es gibt Jahre, in denen es auf den Kapverden buchstäblich überhaupt nicht regnet. Man weiß nie, wann sich der Himmel gnädig zeigt. Regen bedeutet hier Essen. Ein caboverdeanisches Sprichwort sagt, wer mit Regen kommt, darf für immer bleiben. Nun, dieses Glück ist mir beschieden worden. Als ich auf dem nationalen Insel-Flughafen ankam, war die Welt in graue Wolken gehüllt, die sich auf der Fahrt mit dem Sammeltaxi in den Norden mit aller Gewalt entluden. Die Kleinbusse sind bei uns für 9 Leute ausgelegt. Hier setzt sich der Fahrer erst in Bewegung, wenn 19 bis 20 Menschen Platz gefunden haben. Dazwischen reisen riesige Plastikschüsseln, unförmige Kartons und die Reisetasche einer exotischen Touristin mit. Ab 15 Personen weigern sich die Fahrgäste, weitere Passagiere aufzunehmen. Dann setzt der Fahrer alle psychologischen Tricks ein, um doch noch den einen oder anderen in den Bus zu manövrieren. Auf diesen Fahrten gibt es immer viel zu lachen. Die Caboverdeaner amüsieren sich, wie man das fotografieren kann, was man unterwegs sieht. Ein Fahrgast fragte mich ungläubig, ob ich schön fände, was ich fotografiere. Als ich es bejahte, mussten wir beide herzhaft lachen.
Heute bekam ich beim Frühstück den Beweis größter Anerkennung. Statt schwammweicher Brötchen und in Scheiben geschnittener klebriger Marmelade wurde mir Cachupa, das caboverdeanische Nationalgericht, serviert. Es besteht aus Bohnen, Mais, Maniok, Zwiebeln und beliebigen Resten – wie Ziegen-, Rind-, Hühnerfleisch oder auch Fisch. Mit einem Spiegelei wird es zu einer festlichen Mahlzeit gekrönt. Ich war ein bisschen schockiert, Cachupa zum Frühstück essen zu müssen, aber natürlich blieb mir nichts anderes übrig, als den Teller bis auf einen kleinen Rest zu leeren. Zum Abendesen kann ich mit Cachupa leben, aber zum Frühstück betrachte ich es als Opfer und Heldentat, mit der ich der caboverdeanischen Welt meine Ehrerbietung erweise. Natürlich wollten die Frauen in der kreolischen Pension wissen, wie es mir geschmeckt hat. Auch die Köchin steckte ihren Kopf aus der Küche, um mein Urteil zu erfahren. Ich lobte die Cachupa und erklärte gleichzeitig, dass man in Deutschland solche Gerichte zum Abendessen genießt. Diese Erklärung und der übrig gelassene Anstandsrest geben mir die Hoffnung, dass ich morgen wieder lapprige Brötchen zum Frühstück bekomme.

Am meisten genieße ich die herzenstiefe Freundlichkeit der Menschen. Ich werde überall mit Respekt und Herzlichkeit behandelt. Manchmal treffen mich auch misstrauische Blicke, die sich sofort in gastfreundliche Offenheit verwandeln, sobald ich einen portugiesischen Gruß ausspreche. Das Lächeln scheint auf Cabo Verde geboren zu sein. Wenn ich im warmen Atlantik bade, lasse ich meinen Rucksack am Strand liegen. Ich glaube nicht, dass mich hier jemand bestiehlt.

Übrigens hat man mir auch schon das caboverdeanische Nationalspiel beigebracht. Es wird in einem Holzkasten mit Bohnen, Steinen oder großen Samenfrüchten gespielt – je nachdem, was die Natur hergibt. Man lernt dabei besser Rechnen, als es jede Schule vermitteln könnte. Die Kinder helfen mir beim Spielen, so dass ich immer gewinne.

Herzliche Grüße aus dieser bescheiden steinreichen Welt aus Wind, Sand, Meer und – ausnahmsweise – leuchtend grünen Gipfeln (…).

Brief 2
Ich habe mich auf Cabo Verde ausgezeichnet erholt, nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch. In dieser armen Welt leben sehr selbstbewusste Menschen, die völlig andere Prioritäten im Leben setzen. Ihre Herzlichkeit und ihr Lachen sind unverdorben. Und mit dem größten Schatz, den Kindern, geht man sehr gut um.

Natürlich musste ich bei der Ankunft erst einmal den afrikanischen Kulturschock überwinden. Aber der Kulturschock, der mich bei meiner Rückreise auf der Insel Sal traf, wo der internationale Flughafen liegt, war viel gewaltiger. Es war der Kulturschock europäischen Überflusses, der sich in warmem Wasser, sattem Duschstrahl, geräumigem Pensionszimmer, Klimaanlage, VIER Glühbirnen im Deckenventilator und DREI Steckdosen im Zimmer ausdrückte. Dass es keine Moskitos gab, lag eher an den etwas anderen klimatischen Verhältnissen. Die Kapverden teilen sich in die Inseln über dem Wind (Barlavento) und unter dem Wind (Sotavento). Die unterschiedlichen Passatwinde wirken sich auf die Meeresströmung aus, was wiederum das Klima beeinflusst. Kakerlaken habe ich auf beiden Inseln – Santiago und Sal – angetroffen. Sie sind dort kein Signal für unhygienische Verhältnisse, sondern leben einfach dort. Als ich der ersten Kakerlake im internationalen Flughafenhotel auf Sal begegnete, wo ich die erste Nacht bis zum Weiterflug nach Santiago verbrachte, war ich für 10 Sekunden leicht gelähmt. Da ich aber wusste, welche Bedeutung Kakerlaken auf Cabo Verde haben, beschloss ich, nicht zickig zu sein. Was hätte es auch geholfen, wenn ich mich 2 Wochen lang zu Tode erschreckt hätte?

Ich habe wundervolle Dinge erlebt. Allerdings habe ich auch 2 Tage in der Horizontalen im Pensionszimmer verbracht, mit tropischer Grippe, Erbrechen und leichtem Fieber. Schuld daran war ein ungehemmter Regenguss und eine weitere Cachupa zum Frühstück. Ich hatte mit einem Einheimischen eine Wandertour zu einem Wasserfall vereinbart. Er hatte seinen freien Tag und wollte sich ein bisschen was verdienen. Seine Eltern lebten dort. So konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: seine Eltern sehen und ein Zubrot verdienen. Er brachte seine Verlobte und seinen Neffen mit, der lernen sollte, wie man Touristen durch die Landschaft führen kann. Ich fragte am Vorabend, ob es regnen würde. Dann hätte ich nämlich eine Plastikjacke angezogen. „Nein, nein, morgen gibt es keinen Regen.“ Als wir dann vom Straßenrand in das Flusstal abstiegen, begegneten wir einem Bauern. Ich fand, dass der Himmel nach Regen aussah und fragte nochmal nach. Der alte Mann sagte, es würde bald und heftig regnen. Mein Guide behauptete, er habe nur von geringem Regen gesprochen. Ich protestierte nicht, sondern ließ einfach geschehen, was geschah. Der Guide hatte nur diesen einen Tag frei. In der nächsten Woche wäre ich bereits abgereist und er hätte das Geschäft nicht mit mir machen können. Ich selber hatte auch einfach keine Lust, einen Schritt zurückzugehen. Irgendwie geht es immer vorwärts auf Cabo Verde, trotz widrigster Umstände. Als wir im Flusstal aufstiegen, fegte auf einmal ein heftiger Wind herab. Der Neffe hob mit strahlendem Gesicht die Arme zum Himmel und verkündete, dass der Wind gleich Regen bringen würde. Und er hatte schlicht und ergreifend recht. Es dauerte keine 5 Minuten, bis wir so nass waren, als wären wir gerade mitsamt der Kleidung aus einer vollen Badewanne gestiegen. Das hatte den Vorteil, dass wir uns später, als wir den Wasserfall erreichten, direkt unter ihn stellen konnten, denn nasser konnte man einfach nicht mehr werden.

Es war ein wundervoller Tag. Aber er hatte mit Cachupa zum Frühstück begonnen und ich habe den Verdacht, dass mir die Fischreste den Magen ruiniert haben. Die Cachupa war eine Belohnung für eine Szene am Tag zuvor, in der ich mich wohl besonders respektierlich verhalten hatte. Am Tag nach der Wasserfall-Wanderung also lag ich krank im Bett, wurde aber mit ebensoviel Fürsorge wie Gemüsesuppe und Kräutertee wieder aufgepäppelt.

Bis auf 2 oder 3 Regengüsse habe ich auch viel Sonne erlebt. Manchmal, bei Wanderungen im Gebirge, lief ich abwechselnd in Wolken, Nebel und Sonne. Als ich bei einer Wanderung in einem Flusstal den Weg verlor, traf ich auf 2 Caboverdeaner. Sie waren gerade bei der Arbeit – fragen Sie mich nicht, was sie in dieser Wildnis taten. Vermutlich schlugen sie irgendetwas – vielleicht Brennholz – oder ernteten irgendetwas – vielleicht Kokosnüsse. Ich hatte ihre Stimmen gehört. Sie boten sich sofort an, mich zu dem Punkt zu begleiten, wo der Weg wieder klar verlief. Wir kamen mitten im Dickicht an einer Grogue-Brennerei vorbei, wo 10 Männer und eine Frau Zuckerrohrschnaps brannten. Man bot mir eine Kostprobe an. Einer der Männer schwenkte die Schnapsprobe von einer rostigen Olivenöldose in einen verdreckten Plastik-Kappenverschluss und wieder zurück. Ich redete mich mit der Begründung heraus, dass ich vor 2 Tagen ernste Magenprobleme gehabt hätte. Das war immerhin die Wahrheit. Aber ich war auch heilfroh, dass ich einen triftigen Grund hatte, die rostige Olivendose abzulehnen. Bis mich die Caboverdeaner auf dem sicheren Weg verabschiedeten, lernte ich noch viel über die Früchte in diesem Tal. Sie schlugen eine Kokosnuss für mich auf, pflückten herrlich aromatische Früchte, die ich noch nie gegessen hatte, und zeigten mir eine Stelle mit Trinkwasser – eine absolute Seltenheit in der caboverdeanischen Welt.

Welche Bedeutung der Regen auf Cabo Verde hat, verdeutlicht auch die folgende Szene. Als ich krank im Bett lag, ging ich trotzdem in den Supermarkt, um Wasser zu kaufen. Ich hätte es auch bringen lassen können, aber es war eine Kraftprobe für mich, um zu sehen, ob ich wieder aufstehen könnte. Ich wurde 2 Tage eines Besseren belehrt. An der Kasse fragte mich eine alte Frau, wie es mir ginge. Da ich fand, dass ich hundsmiserabel aussah, wollte ich nicht sagen, dass es mir gut ginge. Also erklärte ich ihr, dass ich gerade ein bisschen krank sei. „Krank? Wieso?“ Nun, ich war in einen heftigen Regenguss gekommen. Als die Frau das Wort „Regen“ hörte, leuchtete sofort ihr ganzes Gesicht: „Der Regen ist gut, nicht wahr!?“ Gewiss, ganz bestimmt, der Regen ist gut. So ist es also auf Cabo Verde. Niemand käme im Traum darauf, den Regen mit irgendetwas Negativem in Verbindung zu bringen. So kam logischerweise niemand auch nur im Traum darauf, mich zu bedauern, dass ich wegen des Regengusses krank geworden war. Krankheit ist Krankheit und Regen ist Regen. Der Regen ist gut. Wer könnte je daran zweifeln oder ihm irgendetwas Schlechtes nachsagen?

Eigentlich reichen meine Erlebnisse für einen kleinen Erzählband. Erinnern Sie mich daran, dass ich Ihnen die Geschichte von dem Deutschen erzähle, dessen Segelschiff untergegangen war und der nicht nur keine Hilfe in Seenot bekommen hatte, sondern obendrein von den Einheimischen geplündert worden war. Ich traf ihn in der Hauptstadt auf Santiago, kurz vor dem Rückflug nach Sal. Ich fragte mich sofort, was er falsch gemacht hatte, dass das geschehen konnte. Meine Vermutungen, welches Fehlverhalten dazu beigetragen haben könnte, wurden mir kurz darauf bestätigt. Er hatte nur noch ein T-Shirt, eine Hose, Schuhe, Socken und ein Handy – und all das war geliehen -, als ich ihm begegnete. Er wusch jeden Abend seine Socken aus, damit sie am nächsten Tag frisch waren. Es gab keinen wirklichen Grund, Mitleid mit ihm zu haben. Er hatte vorher mit seinem Schiff Cabo Verde geplündert. Als er Hilfe brauchte, hat er sie naturgemäß nirgendwo gefunden. Ich sah das Wrack in der Bucht liegen, als ich am Morgen mit dem Taxi zum Flughafen fuhr (…).