Der Name ist Programm. Tatsächlich hätte man keine treffendere Bezeichnung für das Kreuzschiff der Silja Line wählen können. Die „Silja Serenade“ ist nachtaktiv und scheut den Tag. Am Abend legt sie in Stockholm ab, gleitet in heller Nacht durch den Schärengarten, landet am frühen Morgen in Helsinki an und ruht am Vor- und Nachmittag träge im Hafen, um abends mit frischen Kräften die Rückfahrt anzutreten.


Blau wie der Himmel …

…  und das Meer …

… zieht sie souverän ihre maritime Bahn …

… passiert Klippen …

… Kreuzschiffe der Konkurrenz …

… und Frachtschiffe auf offener See.

In der Außenkabine ist es so hell, dass sich finnische Krimis nachts auch ohne Licht mühelos lesen lassen.

Abgeschnitten von der hellen Nacht inszeniert sich die Shopping-Promenade dagegen im künstlichen Licht, …

… während der Seehund seit 60 Jahren tagaus, tagein seinen Auftrag loyal zelebriert und mit immer gleicher Freundlichkeit den flanierenden Passagieren zulächelt, wie man es von einem professionellen Logo erwarten darf.

Wenn Nacht und Tag ineinanderfließen, verrinnt die Zeit noch schneller als gewöhnlich, gerade auch wenn sie sich irgendwo draußen in der Ostsee um eine Stunde verschiebt. Denn die Finnen eilen den Schweden bekanntlich um eine Stunde voraus.

Obwohl sich die Wolkendecke dicht und schwer über die Nacht und das Meer legt, will das Licht nicht weichen …

… und spannt um Mitternacht gar ein gleißendes Sonnenband zwischen Himmel und Meer, als die Silja Serenade von Mariehamn ausläuft, Hauptstadt und gleichzeitig auch einzige Stadt der autonomen finnischen, aber schwedischsprachigen Ålandinseln. Zwar gehören sie zu Finnland, wegen der Selbstverwaltung aber nicht zur EU-Steuerunion. Das ermöglicht steuer- und zollfreie Einkäufe an Bord, sofern die Schiffe am Hafen Halt machen. Über 2.000 mal hat der Kapitän hier angelegt, aber weder die Stadt noch die Inseln jemals betreten.


Obwohl er wegen seines durchgehenden Dienstes vermutlich keine Sekunde geschlafen hat, springt der Seehund am frühen Morgen putzmunter an Deck, …

… um jeden Passagier persönlich zu verabschieden.

Die Schiffsluke hebt sich und der Dom von Helsinki erstrahlt morgenfrisch in leuchtendem Weiß.

Mit prominenten Gästen eilen wir vom Schiff. Denn die Silja Serenade ist der offizielle Beförderer auf dem Seeweg, the official sea carrier, von Mumin …

… und Nikolaus.

Einige kostbare Stunden liegen vor den Passagieren, die die Serenade beim Wort nehmen und abends mit ihr zurückreisen werden. Einige haben eine Sightseeing-Tour gebucht, doch wir ziehen die Straßenbahnlinie 2 vor, die ohnehin an allen Sehenswürdigkeiten entlang rattert. Der Dom, der den Senatsplatz souverän beherrscht, …

… zieht wie in einer Panoramaschau im wahrsten Sinne des Wortes erhaben vorbei …

… ebenso das Museum Ateneum mit der bedeutendsten Kunstsammlung Finnlands, das wir aus Zeitgründen leider links liegen lassen müssen …

… sowie der Hauptbahnhof aus finnischem Granit, im Spiel zwischen Neoklassizismus und Jugendstil, mit seinem berühmten Uhrturm …

… und den mächtigen Statuen, die den Eingang wie mythologische Wächter schützen und längst als Wahrzeichen von Helsinki gelten, obwohl ihre Funktion, nun, eigentlich über die von Lampenträgern nicht hinausgeht.

Die Fassaden der Gebäude bieten skurrile Überraschungen, die der nordische Jugendstil in seiner Rauheit auf Schritt und Tritt in die Stadt zeichnet.

Doch wir haben wenig Zeit, wenn auch klare Ziele, genau genommen zwei, die beide mit einem großen L beginnen. Literatur & Loppis.

Literaturliebhaberinnen werden sich nie an dieser Stadt satt sehen können, egal wie viele Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre ihnen vergönnt sind. Denn Helsinki, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Geburtsstätte der Mumintrolle, die die Finnlandschwedin Tove Jansson im 2. Weltkrieg ersann, ersponn und erschuf. Wie Pippi Langstrumpf erblickten die Mumins 1945 das literarische Licht der Welt. Tove schrieb die Geschichten und illustrierte sie selber. In ihrem Selbstverständnis war sie in erster Linie Malerin. Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie, waren ihre kreative Energie und Neugier schier unerschöpflich, die sie als Schriftstellerin, Zeichnerin, Comicautorin, Graphikerin und Illustratorin in verschiedenen Schaffensphasen für ihr vielfältiges Werk nutzte und auslebte. Über die Stadt verstreut finden sich Skulturen ihres Vaters, des Bildhauers Viktor Jansson, dem sie häufig Modell stand. Ihre Mutter, Signe Hammarsten-Jansson, von der Familie und den Freunden kurz und prägnant Ham genannt, war eine bekannte Graphikerin, die als Illustratorin für namhafte Zeitungen arbeitete, aber auch finnische Briefmarken entwarf und hin und wieder auch Geldscheine illustrierte.

So wie die Dinge nun einmal liegen, führt kein Weg an HAM vorbei, das Helsinki Art Museum, dessen abgekürzter Name mit dem der Namenspatronin spielt. Dort sind zwar nur wenige, aber hochinteressante Werke von Hams Tochter Tove zu sehen. Zu den Schmuckstücken zählen zwei ihrer Wandgemälde, das „Fest auf dem Land“ …

und das „Fest in der Stadt“.

Zu den Gemälden und seinen Details gäbe es manches zu berichten. Beschränken wir uns auf zwei Elemente und zoomen wir sie näher heran. Auf dem „Fest in der Stadt“ raucht Tove genüsslich eine Zigarette bei einem Glas Wein  …

… und zwar in dezenter Gesellschaft eines Mumintrolls.

Zigaretten scheinen im übrigen wie Pinsel mit Tove in ihrem Alltag zu verwachsen, ob bei der Arbeit oder beim Amusement, was im Leben einer Künstlerin vielleicht ohnehin auf ein und dasselbe hinaus läuft.

Allein vor diesen Gemälden ließe sich Stunde um Stunde verbringen. Doch wir machen es wie die Freunde der Mumins und stürmen im Eilschritt weiter, …

… um einen Blick auf Toves Atelier zu werfen, das dank des Turmaufsatzes über alle Dächer der umliegenden Häuser hinausragt, um auch den letzten Lichtstrahl einzufangen.

Zu besichtigen ist es nicht, aber eine Plakette am Hauseingang klärt uns über die berühmte Bewohnerin des Hauses auf, die ebenso wie Astrid Lindgren ihrer Wohnstatt über ein halbes Jahrhundert treu blieb, wenn sie nicht gerade auf ihrer Insel lebte und arbeitete, die die Fläche eines Fußballfeldes misst.

Sowieso wird es höchste Zeit für Ziel Nummer Zwei. Auch Loppisliebhaber kommen in dieser Stadt voll auf ihre Kosten, da die Finnen den Second-Hand-Handel sowohl in der Rolle von Käufern als auch Verkäufern als ihr liebstes Hobby betrachten, nach der Sauna und dem finnischen Tango, versteht sich. Wie in Schweden gibt es auch hier ehrenamtliche Läden, die in Ketten organisiert über das ganze Land verstreut sind und mit ihren Einnahmen Projekte in der Dritten Welt unterstützen.

Für ein paar Euro erwerben wir bei Fida, der größten finnischen Second-Hand-Kette zur Unterstützung von Kindern in Not, einheimische Design-Artikel, deren Neupreis beim Zehn- bis Hundertfachen läge.

In Helsinki steigt jeder früher oder später wieder in das Boot, das auf ihn wartet, oder auch umgekehrt – entweder direkt am Wasser …

… oder auf der grünsten aller grünen Wiesen.

Der Tag neigt sich dem Ende und Nikolaus hält bereits Ausschau nach seinem persönlichen Sea Carrier.

Pünktlich auf die Minute läuft die „Silja Serenade“ aus.

In letzter Sekunde schmuggeln sich blinde Passagiere an Bord …

… und das Spiel beginnt von Neuem. Kleine rote Häuser …

… auf winzigen Inseln …

… in gleißendem Licht …

… vorbei an Festungsanlagen …

… mit kuriosen Passkontrollstationen, die trotz wirrer Zeiten wohl nicht ernst gemeint sind. Oder vielleicht doch?

Nicht alle Fragen lassen sich unstrittig beantworten in dieser aus Licht gewebten Welt. Hat sich die Nacht bereits verabschiedet oder ist der Tag erst gar nicht entschwunden? Die hellen Nächte in den Schären nehmen uns das letzte bisschen Gewissheit über Zeit und Raum. Wir müssen uns anderweitig orientieren, um den Lauf der Zeit zu enträtseln. Diese Möwe etwa kreischt eindeutig nach Frühstück und nicht nach Abendessen. Nicht, dass es sich rational begründen ließe. Aber im zeitlosen Raum verlässt man sich am besten auf die Intuition.

Andere bekümmern sich erst gar nicht um die Zeit und entschlüsseln stattdessen den Raum mit Hilfe des jahrhundertealten chinesisch meditativen Bewegungssystems …

… namens Tai Chi. Wie man es, oder besser gesagt sich, auch dreht und wendet …

… im Schärengarten bricht der Tag an. Fähren gleiten langsam von unscheinbaren Anlegestellen ins Wasser, mit weniger als einer Handvoll Autos an Bord.

Manch einer fährt mit dem eigenen Boot zur Arbeit oder bringt vielleicht gerade die Kinder zur Schule.

Doch die meisten Häuser ruhen noch im Dornröschenschlaf, …


… während der kleinste Turm sich in der größten Idylle selbst genügt.

Wäre da nicht der Globen, der als Stockholmer Wahrzeichen die Ankunft in der schwedischen Hauptstadt anzeigt, könnte man sich mit Leib und Seele ins ewige Paradies zurückversetzt glauben.

Doch selbst die nachthellste Serenade muss sich irgendwann wieder dem Morgen und seinen Anforderungen stellen, …

… spätestens wenn die Landungsbrücke die Verbindung von der Nacht zum Tag kappt.

Heja Sverige!

Hej då, kleiner Seehund!